Wie ist die Stimmung der jungen Menschen in Mali angesichts der unsicheren politischen Lage und der Unruhen im Land?

Porträt von Ousmane Maiga. Er trägt ein grünes T-Shirt und lächelt in die Kamera.

Ousmane Maiga ist Demokratie- und Menschenrechtsaktivist.

Er ist Gründungsmitglied von AJCAD – Association des Jeunes pour la Citoyenneté Active et la Démocratie, einer Jugendorganisation, die junge Menschen darin bestärkt, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren.

Seinen Vorstandsposten hat er inzwischen aufgegeben, ist jedoch weiterhin eng mit AJCAD verbunden.

Ousmane Maiga: Da gibt es unterschiedliche Ansichten. Manche lehnen die derzeitige Situation nach dem Staatsstreich strikt ab – das Militärregime, die diplomatische Isolation Malis, die Sicherheitslage. Andere finden, dass das Land zu lange von ausländischen Mächten beherrscht wurde.

Wir, als Jugendorganisation und als Einzelpersonen, sehen, dass sich dringend etwas ändern muss. Aber der zivilgesellschaftliche Raum schrumpft und die Menschen haben immer weniger Möglichkeiten, die Situation offen zu hinterfragen. Hinzu kommt, dass es derzeit keine Zukunftsaussichten gibt, ob beruflich oder in Bezug auf Bildung, soziale Grundsicherung und politische Teilhabe.

Die wahre Herausforderung ist, klare Perspektiven zu schaffen, die der nächsten Generation helfen, sich zu entfalten und einen friedlichen, demokratischen und wohlhabenden Staat zu errichten.
Porträt von Gogo Bambera. Sie trägt einen schwarzen Hut und ein grau-weißes Oberteil. Sie lächelt.

Gogo Bambera ist Geschäftsführerin der Jugendorganisation Coalition 2250.

Deren Hauptziel ist, Konflikte zu verhindern und zu bewältigen und in Entscheidungsprozesse einbezogen zu werden. Der Name bezieht sich auf die UN-Resolution 2250 zu Jugend, Frieden und Sicherheit.

Gogo hat einen Abschluss in Psychologie und lebt in Bla, einer ländlichen Kleinstadt 300 km östlich der Hauptstadt Bamako.

Gogo Bambera: Im ländlichen Raum, wo wir arbeiten, sind die Jugendlichen nicht allzu sehr an Politik interessiert, und das versucht meine Organisation zu ändern.

Ein Problem ist, dass zahlreiche junge Menschen nicht lesen und schreiben können. Für viele ist vor allem wichtig, genug zu essen zu bekommen.

Die Mehrheit der Jugendlichen in ländlichen Gebieten ist arbeitslos. Angesichts der harten Zeiten und der Konflikte, unter denen vor allem wir jungen Leute und Frauen leiden, schließen sich einige leichtsinnige Jugendliche zum Beispiel terroristischen Gruppen an.

Die Situation in Mali

Einst war Mali Westafrikas Vorzeigedemokratie, doch seit 2012 kam es zu mehreren Putschen und Regierungsumbildungen. Derzeit wird das Land durch eine militärische Übergangsregierung geführt. Mehr als 65% der Bevölkerung sind jünger als 35 Jahre. Vor allem in ländlichen Regionen ist die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen hoch und patriarchale Strukturen erschweren es Frauen oft, ihre Rechte auszuüben. Die letzten Wahlen verzeichneten eine historisch niedrige Wahlbeteiligung.

Wie schafft ihr es, junge Menschen dennoch zu politischem Engagement zu motivieren?

Gogo Bambera: Die größte Herausforderung für unsere Organisation ist, ihnen klarzumachen, dass sie sich für die Zukunft ihres Ortes und ihres Landes interessieren müssen, damit sie bei Entscheidungen mitreden können. Dazu haben wir verschiedene Strategien. Wenn es zum Beispiel Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen Jugendlicher gibt, bringen wir sie bei einem Fest zusammen. Dort gibt es kleine Theateraufführungen und zum Abschluss ein Fußballspiel. Dann, zwei oder drei Tage später, wenden wir uns an beide Parteien getrennt.

Wir sprechen mit ihnen über die Situation der Bevölkerung und was man als junger Mensch tun kann, um Dinge zu verbessern.

Dabei versuchen wir auch, die Probleme zwischen den beiden Gruppen zu lösen. Und das funktioniert – auch weil wir dabei sind, die Resolution 2250 bekannt zu machen.

Ich habe auch eine wöchentliche Radiosendung. Dort rufen zum Beispiel Jugendliche an, die keine kommunalen Steuern zahlen wollen. Andere antworten, dass dieses Geld allen nutzt, weil es uns ermöglicht, unseren Ort zu verbessern. Das führt zu intensiven Diskussionen, aber am Ende können sie sich verständigen. So konnten wir gemeinsam mit den Jugendlichen einen Antrag bei der Verwaltung stellen: Wer bestimmte Dokumente braucht, zum Beispiel eine Geburts- oder Heiratsurkunde, soll zunächst nachweisen, seine Steuern gezahlt zu haben. Das hat das Rathaus tatsächlich so umgesetzt. Und dieses Geld ist wichtig für den lokalen Entwicklungsplan.

Was ist das für ein Plan?

Ousmane Maiga:  Zum Beispiel kann die Kommune entscheiden, eine Schule zu bauen oder einen Brunnen zu graben, als Teil eines landesweiten Programms. Dafür wird mit vorher geschätzten Steuereinnahmen kalkuliert.

Gogo Bambera: Dieses Programm wird alle fünf Jahre erstellt, aber jedes Jahr überarbeitet. Während der Überprüfung werden die Jugendlichen eingeladen, mitzuentscheiden. Und diese Entscheidungen berücksichtigen die Behörden in der Regel tatsächlich.

Ist es bei euch ähnlich wie in Deutschland, dass die jungen Menschen vom Lande ihre Zukunft eher in den Städten sehen?

Ousmane Maiga:  Ja natürlich, das ist auch in Mali so. Ich selbst bin nicht in der Hauptstadt Bamako geboren, sondern in der zentralen Region Mopti. Wer nach dem Abitur studieren wollte, musste seine Familie verlassen und nach Bamako an die Universität gehen.

Und in den Städten ist es viel einfacher, Ressourcen zu mobilisieren. Sie haben höhere Steuereinnahmen, es gibt große Märkte und Händler, es gibt Straßen.

Auf dem Lande werden weniger Steuern bezahlt, dadurch verzögert sich die Umsetzung von Projekten – was bedeutet, dass wichtige Infrastruktur im Bereich Bildung und Gesundheit fehlt.

Und wer den ganzen Tag auf dem Feld arbeitet und nur einen kommunalen Radiosender empfängt, hat weniger Zugang zu Informationen als jemand in Bamako mit Internet-Zugang und der Möglichkeit, sich auch über internationale Kanäle zu informieren. Die Ungleichheit besteht also auf allen Ebenen.

Bei unserer Arbeit sehen wir aber auch, dass die Jugend auf dem Lande engagierter ist, was vielleicht an der Nähe zu den Behörden vor Ort liegt. Dort ist es möglich, einfach zum Bürgermeister zu gehen und mit ihm zu reden.

Sehen junge Menschen, die in der Stadt studiert haben, denn Möglichkeiten, in ihren Heimatorten etwas zu verändern?

Ousmane Maiga:

Genau das ist die Strategie unserer Organisation: Aufs Land, in die Kommunen zu gehen, zu dezentralisieren und Macht zu verlagern.

Derzeit gibt es Büros in sechs Regionen, die Aktionen auf kommunaler Ebene koordinieren.

Und viele, die in die Stadt gegangen sind, versuchen dazu beizutragen, dass auch andere Jugendliche in ihren Heimatorten sich weiterentwickeln und Dinge verbessern können. Ein paar kehren sogar nach dem Studium zurück.

Was ist das Wichtigste, das junge Menschen in Mali brauchen, um ihre eigene und die politische Situation zu verbessern?

Gogo Bambera: 

Massenmedien und Social Media tragen dazu bei, dass junge Menschen auf dem Lande beginnen, aufzuwachen, ihr Leben zu verändern.

Aber viele von ihnen wollen eher ein Unternehmen gründen als sich zivilgesellschaftlich zu engagieren. Ich glaube, das größte Problem ist mangelndes Wissen, sind Missverständnisse über Demokratie. Das Wichtigste ist ein gutes Demokratieverständnis.

Ousmane Maiga: Junge Menschen müssen sich vor allem als vollwertige Bürger begreifen, das schließt Rechte und Pflichten ein. Wir müssen wählen, uns selbst zur Wahl aufstellen, Politiker zur Rede stellen, bei öffentlichen Angelegenheiten mitreden können. Die Gesellschaft behandelt junge Menschen wie Kinder und ermöglicht es uns nicht unbedingt, uns zu entwickeln, selbst zu entscheiden, unsere Meinung zu äußern.

Was dieses Land braucht, sind junge, aktive und engagierte Bürger, die die Politik nach ihren eigenen Bedürfnissen gestalten.

Ein großes Problem ist zum Beispiel, dass Ausbildung und Studiengänge nicht zum Arbeitsmarkt passen. Sie können Philosophie, Soziologie studieren …

Gogo Bambera: Vor allem auch Psychologie!

Ousmane Maiga:  Genau, aber dann gibt es keine Stellen für sie. Die Politik muss sich ändern. Wenn junge Menschen mehr Macht bekommen, können sie dazu beitragen.

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