Folter, Vergewaltigung und Zwangsarbeit gehören zum Alltag vieler afrikanischer Geflüchteter in Libyen. Das zeigt der Bericht „You aren't human any more“, den Oxfam gemeinsam mit den italienischen Partnerorganisationen MEDU und Borderline Sicilia herausgegeben hat.
Der Bericht beruht auf Interviews mit Geflüchteten, die von Libyen aus Sizilien erreicht haben. Mehrere Befragte berichteten übereinstimmend, von Banden in unterirdischen Kerkern gefangen gehalten worden zu sein, um von ihren Familien Lösegeld zu erpressen. Ein senegalesischer Teenager gibt an, aus einer Zelle voller Leichen entkommen zu sein, andere wurden regelmäßig geschlagen und mussten monatelang hungern.
Italien und die übrigen EU-Staaten müssen von politischen Initiativen absehen, mit denen Menschen in Not daran gehindert werden sollen, Libyen in Richtung Europa zu verlassen.
Sexuelle Gewalt
158 Interviews mit 31 Frauen und 127 Männern, die Oxfam und Partnerorganisationen mit Geflüchteten in Sizilien geführt haben, zeichnen ein dramatisches Bild der Lage in Libyen:
Nahezu alle befragten Frauen haben sexuelle Gewalt erlebt. Die 28-jährige Esther aus Nigeria beispielsweise berichtet von ihren Erinnerungen über die Zeit, in der sie fünf Monate lang mit ihrer Schwester in einem Gefängnis in Zawia in Libyen eingesperrt war:
„Männer in Uniformen waren gewalttätig und mit Pistolen, Eisenstangen und Stöcken bewaffnet. Sie wollten Erpressungsgeld. Sie verprügelten jeden Teil meines Körpers und zwangen mich dazu, an sexueller Gewalt gegen die anderen Frauen mitzuwirken. Ich habe Narben an meinem Kopf und an meinem rechten Arm. Wegen der Schläge, unter denen ich litt, verlor ich mein ungeborenes Kind. Meine Schwester starb aufgrund der Misshandlungen. Ich verlor eine Menge Blut, ohne jegliche Hilfe bekommen zu haben.“
Folter und Mord
74 Prozent der Geflüchteten sagten aus, Folter und/oder Mord an Reisegefährten beobachtet zu haben; 84 Prozent berichteten, selbst Opfer unmenschlicher und entwürdigender Behandlung wie körperlicher Gewalt oder Folter geworden zu sein.
Der 18-jährige Lamine aus Senegal erzählt davon, wie er neben Leichen in einer Zelle in Tripoli eingesperrt war:
„Als ich gefangen wurde, schlugen sie mit einem Gewehr auf meinen Kopf. Ich fing an zu bluten und wurde bewusstlos. Als ich aufwachte, dachte ich, ich sei tot. Überall war Blut. Ich befand mich in einer Zelle mit anderen Menschen – und Leichen. Ich sah einen Soldaten, wie er einem anderen Mann die Nase brach und ihn so sehr verprügelte, dass er sein Augenlicht verlor. Sie brachen meinen Finger und verletzten mein Bein mit einem Messer. Ich verharrte dort für drei Wochen. Eines Tages, als niemand schaute, konnte ich durch das Fenster im Badezimmer fliehen.“
Nahrung und Wasser verweigert
80 Prozent der Befragten gaben an, ihnen sei in Libyen regelmäßig Nahrung und Wasser verweigert worden.
„Als wir in Sabah in Libyen angekommen waren, wurde ich ins sogenannte Ghetto gebracht – ein großes Haus ohne Fenster, in dem 300 Afrikaner festgehalten wurden“, erzählt der 18-jährige Peter aus Nigeria. „Es war schrecklich. Jeden Tag ist jemand gestorben. Es gab nicht genug Platz zum Schlafen, es gab kein Trinkwasser und das Essen war verdorben.“
„Sie gaben uns ein Telefon, um unsere Familien anzurufen, die wir um Geld bitten sollten. Wenn man keine 1.500 libysche Dinar (ca. 1.000 Euro) zahlen konnte, wurde man weiter im Haus gehalten und geschlagen. Ich habe ein paar Leute kennen gelernt, die dort sechs Monate bleiben mussten, weil sie nicht zahlen konnten. Ich selbst habe fünf Menschen im Ghetto wegen des Essensmangels sterben sehen – und durch Schusswunden, die sehr häufig waren. Ich musste drei Wochen bleiben, bis ein Freund von mir das Lösegeld zahlte – dann kam ich frei.“
EU darf Menschen nicht von Flucht abhalten
Diese Aussagen zeichnen ein Bild der erschreckenden Umstände, denen Flüchtlinge und andere Migranten in Libyen ausgesetzt sind. Sie sind eine bittere Anklage gegen die Versuche der EU, Menschen von der Flucht vor Gewalt, Sklaverei und Tod abzuhalten.
Es geht um Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Armut geflohen sind und die in Libyen unter unzumutbaren Bedingungen leben.
Die EU muss sichere Korridore schaffen, über die diese Menschen nach Europa kommen können und ein faires und transparentes Asylverfahren erhalten.