

Symbolpolitik statt Recht: Zurückweisungen an deutschen Grenzen
Seit Mitte Mai finden an den deutschen Grenzen verstärkt Polizeikontrollen und Zurückweisungen von Asylsuchenden statt. Die Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen sind eines der wichtigsten Vorhaben der neuen Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag, um irreguläre Migration zurückzudrängen.
Anfang Juni hat das Verwaltungsgericht Berlin in drei Eilentscheidungen dieses Vorgehen für rechtswidrig erklärt. Trotzdem will die Bundesregierung daran festhalten. Damit steuert sie in eine Sackgasse: Die ausgerufene "Migrationswende" entpuppt sich als gefährlicher Aktionismus.
Europäisches System unter Druck
Die Zurückweisungen an der Grenze sind rechtlich kaum haltbar und stehen auf wackligen Füßen. Die Bundesregierung beruft sich auf das nationale Asylgesetz (§18 AsylG) und auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der Ausnahmen bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit erlaubt.
Doch das Berliner Verwaltungsgericht hat klargestellt: Diese Begründung reicht nicht aus. Es fehlt an einer konkreten und belegbaren Notlage, die Ausnahmen vom EU-Recht rechtfertigt. Weil die angebliche Notlage, auf die sich die Bundesregierung beruft, nicht erkennbar ist, verletzt Deutschland mit den Zurückweisungen geltendes europäische Recht.
Ausgerechnet Deutschland, das sonst bei der Begrenzung der Sekundärmigration auf die europäischen Lösungen pocht, ignoriert hier den gemeinsamen Rechtsrahmen. Das richtet erheblichen diplomatischen Schaden an: Frankreich, Polen und andere Nachbarländer haben bereits mit deutlicher Kritik reagiert.
Statt europäische Solidarität zu stärken, provoziert die Bundesregierung neue Bruchstellen. Ein Rückfall in nationale Alleingänge, wie aus der Zeit vor Schengen.
Der Rechtsstaat als Spielball
Dass Innenminister Dobrindt trotz des Berliner Gerichtsurteils an der Praxis festhalten will, wirft Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit auf. Wenn die Bundesregierung Gerichtsurteile öffentlich bagatellisiert, ist das mehr als ein politisches Problem: Eine Exekutive, die den Eindruck erweckt, sie könne richterliche Entscheidungen einfach beiseite wischen, untergräbt die Gewaltenteilung, eine der zentralen Grundlagen demokratischer Ordnung.
Auch die Ampelregierung hatte im vergangenen Jahr Grenzkontrollen verschärft, orientierte sich dabei aber eng am geltenden Rechtsrahmen. Die aktuelle Regierung hingegen verlässt diesen Rahmen zunehmend und riskiert einen offenen Rechtsbruch.
Symbolpolitik ohne Substanz
Auch politisch geht diese Rechnung kaum auf. Die Bundesregierung inszeniert die Grenzkontrollen als eine Art Problemlösung, aber in der Praxis handelt es sich dabei um reinen Aktionismus, der zudem auf Dauer weder umsetzbar ist noch Wirkung zeigt: Statt irgendein Problem zu lösen, verschiebt er nur die politische Mitte weiter nach rechts.
Schon jetzt hat die Gewerkschaft der Polizei vor einer Überlastung gewarnt. Die aktuelle Lage sei nur durch massive Umverteilung von Personal und das Aufschieben dringender Fortbildungen zu bewältigen und das sei nicht auf Dauer tragbar.
Und wofür der ganze Aufwand? Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Pro Woche werden im Schnitt 1100 bis 1300 Menschen an der Grenze abgewiesen, etwa weil sie kein Asyl beantragen oder einer Wiedereinreisesperre unterliegen. Durch den neuen Erlass sind in den ersten vier Wochen lediglich 160 zusätzliche Zurückweisungen hinzugekommen: ein erheblicher Aufwand bei äußerst geringem Nutzen.
Fazit: Eine Kurskorrektur ist nötig
Die neuen Grenzkontrollen der Bundesregierung haben große politische Sprengkraft. Migration lässt sich nicht durch Schnellschüsse und rechtswidrigen Aktionismus steuern. Wer glaubt, Migration ließe sich einfach mit Grenzkontrollen abschalten, verkennt die Realität. Steuerung setzt rechtsstaatliches Handeln voraus, Humanität und Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern.
Die Bundesregierung wäre gut beraten, den aktuellen Kurs zu korrigieren. Nicht nur, weil Gerichte ihn kassieren könnten, sondern weil er das falsche Signal sendet: Wer europäisches Recht zur Verhandlungsmasse macht, gewinnt damit auf Dauer keine Wähler*innen, sondern riskiert, das Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu untergraben.
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