

Prävention statt Reaktion: Eine Neuausrichtung der humanitären Hilfe ist nötig!
Angesichts der zunehmenden klimatisch bedingten Krisen gewinnt vorausschauende humanitäre Hilfe an Bedeutung. Sie wahrt die Würde der betroffenen Menschen und ist gleichzeitig effizienter. Dass bisher nur ein kleiner Teil der humanitären Mittel für vorausschauende Maßnahmen eingesetzt wird, muss sich dringend ändern.
Weltweit steigt die Zahl der humanitären Krisen. Neben Konflikten wie beispielsweise in Gaza, im Südsudan oder Jemen bedrohen auch die Folgen der Klimakrise massiv Menschenleben. So haben nach mehreren aufeinanderfolgenden schweren Dürren und Überschwemmungen mehr als 56 Millionen Menschen in Ostafrika nicht genug zu essen.
Oxfam leistet gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen in Äthiopien, Kenia, Somalia und dem Südsudan Nothilfe. Doch der Funding-Aufruf der Vereinten Nationen für die Region ist chronisch unterfinanziert, sodass viel zu wenig Geld da ist, um alle Betroffenen zu erreichen.
Diese humanitäre Katastrophe war vorhersehbar. Durch rechtzeitiges umfassendes Eingreifen hätte eine Hungersnot verhindert oder zumindest abgemildert werden können. Angesichts der zunehmenden klimatisch bedingten Krisen gewinnt vorausschauende humanitäre Hilfe deshalb immer mehr an Bedeutung.

Bei Fluten in den Bezirken Garissa und Tana River im Norden Kenias 2023 wurden Gebäude und Straßen zerstört und Felder überschwemmt; Familien mussten fliehen.
Handeln, bevor es zu spät ist
Damit es gar nicht erst zum Äußersten kommt, nutzt vorausschauende humanitäre Hilfe die meteorologischen Vorhersagen extremer Wetterereignisse, um rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen: Wer frühzeitig evakuiert, kann Leben retten. Wer Häuser vor einem Taifun sturmfest macht, mindert das Risiko, dass Menschen obdachlos werden. Wer Nutztiere vorab aus Überschwemmungsgebieten bringt, kann Lebensgrundlagen sichern. So können sich Betroffene besser und schneller von einer Katastrophe erholen.
Welche vorausschauenden Maßnahmen umgesetzt werden, hängt nicht nur von den meteorologischen Daten, sondern auch von der Lebenssituation der betroffenen Menschen ab. Es kann beispielsweis Bargeld verteilt werden, damit die Menschen sich und/oder ihr Vieh in Sicherheit bringen können, oder sie erhalten Baumaterialien, um ihre Häuser auf starke Windböen oder Kälteeinbrüche vorzubereiten. In manchen Fällen sind frühzeitige Ernten wichtig, damit zumindest ein Teil der Erträge gerettet werden kann.
Schon bevor eine Katastrophe sich ankündigt, werden die vorausschauenden Maßnahmen definiert und in einem Protokoll festgelegt. Dieses „Early Action Protocol“ (EAP) enthält außerdem Informationen dazu, welche Auswirkungen das entsprechende Wettereignis vermutlich haben wird und welche Bevölkerungsgruppen besonders viel Unterstützung benötigen werden – dazu gehören unter anderem ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen oder Kinder.
Leben retten und Menschenwürde wahren – auch bei geringen Budgets
Da die vorausschauende Humanitäre Hilfe frühzeitig ansetzt, trägt sie dazu bei, die Würde der betroffenen Menschen zu wahren. Vorausschauendes Handeln ermöglicht es Gemeinschaften, ihre Lebensgrundlagen zu schützen und damit auch zu vermeiden, dass die Menschen zur Bewältigung der Krise zum Beispiel Land verkaufen müssen, Mädchen früh verheiraten oder Kinder aus der Schule nehmen, damit sie im Haushalt oder der Schaffung von Einkommen helfen.
Gleichzeitig ist die vorausschauende humanitäre Hilfe effizienter: Wird bereits im Vorfeld einer Katastrophe gehandelt, ist das Ausmaß der Zerstörung nicht so gravierend und die Kosten sind entsprechend geringer. Vor dem Hintergrund, dass wichtige humanitäre Geberländer weltweit ihre Budgets massiv kürzen, ist dies ein zentrales Argument. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO rechnet vor, dass jeder US-Dollar, der in vorausschauende humanitäre Hilfe investiert wird, den betroffenen Familien sieben Dollar an Nutzen und vermiedenen Verlusten bringen kann.
Trotzdem wurden laut einem Bericht des humanitären Netzwerks ALNAP 2024 nur 0,7% (305 Millionen US-Dollar) der humanitären Mittel für vorausschauende Maßnahmen eingesetzt. Das muss sich dringend ändern, um nicht weiter unnötig Menschenleben aufs Spiel zu setzen. Vorausschauende humanitäre Hilfe ist deshalb ein wichtiger Ansatz für Oxfam, den wir gemeinsam mit unseren lokalen Partnerorganisationen zunehmend in die Nothilfe integrieren.