Oxfam: In der Demokratischen Republik Kongo leiden mehr als 13 Millionen Menschen akuten Hunger – in 2018 stieg die Zahl der Hungernden um 70 Prozent. Was ist der Grund dafür?
Michael Sladeczek: In der DR Kongo gibt es verschiedene regionale Konflikte, wobei alle ihre eigene Dynamik haben: Dahinter stecken lokale Machtkämpfe, wirtschaftliche Interessen oder Spannungen zwischen verschiedenen Gemeinschaften oder Ethnien. Darüber hinaus gibt es sehr viele bewaffnete Gruppen – alleine in den östlichen Regionen mehr als 100. So kommt es immer wieder zu neuen Gewaltausbrüchen, seit 2016 etwa in Gegenden wie Kasai, Ituri und Tanganjika, aus denen zusammengenommen fast zwei Millionen Menschen fliehen mussten. Ein weiteres Beispiel für diese schreckliche Gewalt war das Massaker von Yumbi im Dezember 2018, als in wenigen Tagen mehr als 500 Menschen getötet wurden.
Was muss geschehen, damit es Frieden gibt?
Michael Sladeczek: Man muss den bewaffneten Gruppen Alternativen aufzeigen, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können, und ihnen die Möglichkeit zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft bieten. Darüber hinaus muss man die Probleme an den Wurzeln anpacken – Gewalt, Ungleichheit sowie den Kampf um Land und Ressourcen. Viele Regionen sind so instabil, weil die Konflikte so unberechenbar sind. Häufig werden eigentlich befriedete Gebiete plötzlich wieder aus dem Nichts angegriffen. Das führt dazu, dass es in der DR Kongo mit über fünf Millionen Menschen die höchste Zahl an Binnenvertriebenen auf dem afrikanischen Kontinent gibt. Dabei benötigen alle humanitäre Hilfe: die Rückkehrer, die neuen Vertriebenen sowie die Menschen, die bereits vor längerer Zeit ihre Heimat verlassen mussten und nicht zurückkehren können, weil dort immer noch gekämpft wird.
Was unternimmt Oxfam, um die kongolesische Bevölkerung zu unterstützen?
Tamba Emmanuel Danmbi-Saa: In der Region Kasai haben wir Bargeld an mehr als 9.000 Haushalte verteilt, womit wir fast 50.000 Menschen erreicht haben, die sich von dem Geld beispielsweise Lebensmittel kaufen konnten. In anderen Konfliktregionen wie Tanganjika oder Süd-Kivu haben wir mehr als 300.000 Menschen mit sauberem Trinkwasser und der Bereitstellung von sanitären Einrichtungen unterstützt. In der Provinz Ituri gibt es zudem ein von Oxfam Deutschland mitfinanziertes Projekt, in dem wir gefährdete Gruppen schützen.
Wir fördern die Bildung von lokalen Komitees, die Risiken wie etwa Gewalt gegen Frauen und Mädchen identifizieren und Aktionspläne für die Gemeinden ausarbeiten. Außerdem unterstützen wir die Bevölkerung darin, ihre landwirtschaftlichen Anbaumethoden zu verbessern – zum Beispiel durch innovative Produkte wie dürrebeständigeres Saatgut oder Techniken, mit denen Böden besser vor Erosion geschützt werden.
Generell erhöhen wir die Ernährungssicherheit der Menschen, indem wir Bargeld, Saatgut oder Werkzeug wie Schaufeln und Harken verteilen. Zusätzlich bieten wir existenzsichernde Weiterbildungen an, etwa wie man Ernteüberschüsse vermarkten kann. Daneben arbeiten wir natürlich auch im Bereich Wasser, Sanitär und Hygiene (WASH). Von den mehr als 150.000 Menschen, die wir damit erreichen, sind 60 Prozent Frauen und Kinder, die in Vertriebenencamps oder in schutzbedürftigen Aufnahmegemeinschaften leben.
In der DR Kongo sind mehr als 2.000 Menschen an der Ebola-Epidemie gestorben, die seit August 2018 im Osten des Landes wütet. Warum ist es so schwierig, die Krankheit unter Kontrolle zu bringen?
Tamba Emmanuel Danmbi-Saa: Die Krankheit breitet sich in einer Konfliktregion aus, was die Arbeit für uns humanitäre Helfer*innen schwierig und gefährlich macht. Sehr herausfordernd ist zudem, überhaupt Zugang zu einigen sehr abgelegenen Ebola-Gebieten zu bekommen. Vor allem aber müssen wir das Vertrauen der Menschen gewinnen. Denn viele zweifeln an der Existenz der Epidemie und glauben, dass Ebola frei erfunden sei. Dieses Misstrauen führt zur Ablehnung unserer Arbeit und leider auch zu Gewalt: Behandlungszentren werden angegriffen und niedergebrannt, Gesundheitshelfer*innen werden attackiert und getötet.
Wie arbeitet Oxfam daran, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen?
Michael Sladeczek: Wir sind zu dem Schluss gekommen: Solange die Bevölkerung nicht direkt an den Hilfsmaßnahmen beteiligt ist, vertraut sie diesen auch nicht. Daher möchten wir die Gemeinschaften nun auf allen Ebenen der Ebola- Bekämpfung beteiligen. Jede Gemeinde wählt einen Repräsentanten oder eine Repräsentantin, der oder die an den Überwachungs-, Sensibilisierungs- oder Impfmaßnahmen teilnehmen kann und die offizielle Kontaktperson zu den Hilfsorganisationen und der Regierung ist.
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Dieser Artikel wurde zuerst in der Sommer-Ausgabe der EINS veröffentlicht.